FF dabei
Christel Berger, ND
Stimmungsvolle Spaziergänge rund ums Schloss Bellevue, die
Begegnung mit Werkstudenten, die in aller Herrgottsfrühe Reklame an die
Ladenscheibe pinseln ("Alle Leute greifen gern zu guten Pfeifen") und
abends auf ein kleines Salär hoffen, Erfahrungen als Schaufenster-Model
auf dem Ku'damm, ein Besuch in den Zeltstädten vor Berlin – die
frühen Feuilletons von Elfriede Brüning sind erfrischende
Lektüre. Nach über 70 Jahren!
"Zeit-Besichtigung" (251 Seiten, Märkischer Verlag Wilhelmshorst,
10,- Euro) nennt die 92jährige Berliner Autorin ihr jüngstes Buch mit
Feuilletons und Reportagen, geschrieben zwischen 1926 und 2002. Manche ihrer
fundierten Recherchen regten sie danach zu Büchern an. Frauen und ihre
Probleme haben Elfriede Brüning – früh geschieden, allein
erziehende Mutter, nun schon zweifache Urgroßmutter – immer
beschäftigt. "Viele Konflikte in Beruf und Familie, die ich
beschrieb, habe ich selbst durchlebt" erinnert sie sich und setzt
nachdenklich hinzu: "Emanzipation geschah nicht selten auf Kosten der
Kinder. Manche Frauen haben das Maß nicht gefunden." Leicht
hätten sie es allerdings heute auch nicht, "viele frühzeitig aus
dem Arbeitsprozess ausgebootet, und mit Kindern kaum Karrierechancen."
FF dabei Nr. 22/2003
Vor zwei Jahren konnte sie ihr 75jähriges Berufsjubiläum feiern. Denn
bereits als 16-Jährige hatte Elfriede Brüning begonnen, Feuilletons
für Berliner Zeitungen zu schreiben. "Das >andere<
Warenhaus" (1926 für das "Grunewald-Echo") war wohl das
erste: eine Momentaufnahme an einem Montag-Morgen in einem Kaufhaus. Es ist
ganz so, wie eine Berliner Göre einen Wochenbeginn empfindet:
"vertanzt, vermurrt, grämlich".
Das Mädchen ist eine große Begabung. Sie guckt genau hin,
interessiert sich für Leute und hat dazu noch etwas Leichtes, Verspieltes.
Neben der Berliner Klappe steht plötzlich eine Andeutung, die ahnen
lässt, dass die Autorin um Abgründe und Tiefen weiß. Das war
Ende der zwanziger Jahre.
Zu den Feuilletons kamen Reportage-Aufträge, und auch die erledigte die
"Kleine" mit Bravour. Wer so durch die Welt ging, dem konnten die
sozialen und politischen Hintergründe nicht verborgen bleiben, und wer
genügend Konsequenz besaß, landete oft bei den Linken - Elfriede
Brüning im "Bund proletarisch-revolutionärer
Schriftsteller". Nun kamen ihr ihre früheren Texte zu seicht vor.
Aufklären, aufdecken, die Armut und Widersprüche kennzeichnen,
hieß es nun. Aber nicht mehr lange, mit dem Machtantritt der Nazis gab es
immer weniger Zeitungen, die etwas von ihr wollten. Wer vom "Bund"
nicht in die Emigration ging, musste illegal arbeiten. Verhaftungen
gehörten zum Alltag, und was nicht minder bedrückend war: Wer im
Lande blieb, musste - wollte man weiterschreiben - belanglos werden; das, was
ihm auf der Zunge brannte, verschweigen, eine Sklavensprache finden.
Darüber hat Elfriede Brüning in ihrer Autobiografie geschrieben, auch,
wie es mit ihr weiterging, nach 1945 als Schriftstellerin und gelegentliche
Reporterin. Die Früchte dieses einen Zweiges ihres Wirkens enthält
das Bändchen "Zeit-Besichtigung - Feuilletons und Reportagen aus 7
Jahrzehnten", in dem sehr eindrucksvoll die jeweiligen Etappen ihrer
Arbeit für die Zeitung präsentiert werden. Nach 1945 galt ihr
Engagement vor allem den Umsiedlern, und es verlangt einem heute höchste
Achtung ab, wie furchtlos die Reporterin damals mit schlecht arbeitenden
Behörden und unsolidarischen Einheimischen zu Gericht ging und für
eine Integration focht, die Menschen zweiten Grades nicht zuließ.
Später waren es oft Familien-, speziell Frauenprobleme, die sie sowohl zu
ihren Romanen als auch zu Artikeln inspirierten. Sie beschrieb dabei keine
heile sozialistische Welt, sondern eine sehr handfeste konfliktreiche
Wirklichkeit. Aus der schmetterlingshaften Feuilletonistin der zwanziger Jahre
war eine genaue, manchmal beinharte Rechercheurin geworden, - eine Entwicklung,
der Härte der Zeit geschuldet. Folgerichtig schwieg sie auch nach der
Wende nicht, und auch davon ist einiges im Bändchen nachzulesen.
Christel Berger, Neues Deutschland, 06.05.03
|