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Heidi Jäger, PNN
Ulrich Crüwell, MAZ
Gerold Paul, PNN
Gerold Paul, PNN

Viele hielten der Erniedrigung nicht stand und machten "freiwillig" ihrem Leben ein Ende. Auch Ralf-Günter Krolkiewicz verfiel oft in Depressionen, sprach tagelang kein Wort. "Wäre die Liebe zu meiner damaligen Freundin und heutigen Frau nicht so stark gewesen, hätte ich vielleicht auch für immer mein Licht ausgelöscht." Wenn der Potsdamer Theaterintendant über die Zeit seiner Inhaftierung spricht, zittern ihm die Hände. Er leidet an der Parkinsonschen Krankheit. Als er vor zwei Jahren die Diagnose erfuhr, begann er mit dem Schreiben. Sechs Jahre hatte er nicht mehr zur Feder gegriffen. Jetzt brannte es ihm unter den Nägeln. Die Zeit wurde auf einmal endlich.
In etwa drei Wochen erscheint im Märkischen Verlag Wilhelmshorst sein Buch "Hafthaus", das ihn geistig zurück katapultierte in die Hölle der DDR-Willkür. Das Schreiben brachte keine Befreiung. Das Trauma blieb.
"Wer aber Enthüllungs- oder Bekennerliteratur erwartet, liegt falsch. Ich habe versucht, mit mir selbst ins Gericht zu gehen und möglichst wertfrei zu beschreiben, was vor 19 Jahren passierte.
"Hafthaus" ist eine Liebesgeschichte, sagt Krolkiewicz. Er erinnert sich, wie er seine damals 18jährige Freundin kennenlernte, die gerade die Schule abschloss und noch sehr an ihre Familie gebunden war. Ihn hatte das Berufsleben schon aufgesogen: Er war Schauspieler am Hans Otto Theater und schrieb Texte, die sich an der Politik und den DDR-Alltag rieben. Oft war die Freundin bei den "Wohnungslesungen" dabei, kannte seine Literatur. "Ich dachte immer, illegal zu werden, ist sehr einfach und wollte den schwierigen Weg des Noch-Möglichen gehen. Heute weiß ich, dass das sehr blauäugig war." Seine erste öffentliche Potsdamer Lesung im Spartacus-Klub war auch seine letzte - für lange Zeit. Er wurde zwar nicht von der Stelle weg verhaftet, durfte sogar noch einen erkrankten Kollegen in einer Theater-Premiere vertreten. Doch zwei Wochen später schlug die Stasi unerbittlich zu. Die Anklage hieß: Öffentliche Herabwürdigung. "Man dachte, ich sei der Kopf einer Bewegung. Und im Prinzip hatten sie fast Recht. Nach meiner Inhaftierung war die Szene eingeschüchtert, und man hatte jetzt auch einen Vorwand, den Spartacus zu schließen."
Zuerst kam Ralf-Günter Krolkiewicz in die Lindenstraße, dem Stasi-Untersuchungsgefängnis. Dort ließ man ihn von Juni bis November 1984 schmoren: bis zur Urteilsverkündung. 18 Monate Freiheitsentzug, entschied der Richter. In der Lindenstraße sei für ihn das Wort Menschenverachtung erfahrbar geworden. "Das eigene Wertgefühl wurde so untergraben, dass man sich regelrecht als "Drecksau" fühlte." Er müsste nicht nur mit seinem eigenen Gefühlschaos kämpfen, sondern auch mit den primitivsten Gelüsten seiner Mithäftlinge. "Die Inhaftierten haben sich untereinander gequält. Zu deiner Neurose kam die der anderen dazu."
Er fing an, Schach zu spielen, Dame und Mühle. Die Bibel las er von vorn bis hinten, auch das Gesamtwerk Lessings, Heines und Balzacs, das ihm nach Androhung eines Hungerstreiks ausgehändigt wurde. "Am allerschlimmsten waren die Freigänge in den Laufkäfigen, denen ich mich oft verweigerte. Das war wie Tierquälerei. Durch den dichten Maschendraht fiel kaum Licht. Wenn die Sonne schien, war es besonders schrecklich. Am schönsten war noch der Regen."
Die Liebe half ihm, über die Verzweiflung hinweg zu kommen. Sie machte ihn aber auch empfindsam, was man im Knast nicht sein sollte. "So händigten sie mir Briefe einfach nicht aus und sagten: "Warum soll dir deine Freundin auch schreiben. Sie ist doch schön. Sie sucht sich einen anderen." In seinem Buch beschreibt er, wie sie beide versucht haben, mit einer Situation fertig zu werden, die keine Lebensgrundlage mehr hatte. Die etwa 40 erhaltenen Briefe, die zum Teil in "Hafthaus" zitiert werden, waren dabei eine gute Gedächtnisstütze.
Ihre Post wurde immer von ganzen Heerscharen mitgelesen, und somit öffentlich, bevor sie den Adressaten überhaupt erreichte. "So sind diese Briefe zwar sehr persönliche Dokumente, aber nie Privatbriefe."
In Cottbus, wo Ralf-Günter Krolkiewicz seine restliche Haftzeit absaß, erfuhr er nach einem Jahr, dass er freigekauft werden sollte. "Als scheinbare Alternative schlug man mir vor, aufs Dorf zu gehen, mit einem Aktionsradius von 30 Kilometern und mit der Auflage, in der LPG zu arbeiten. Man wollte, dass ich das Land verlasse, sonst hätte man mir das Leben zur Hölle gemacht. Und ich wollte auch raus, obwohl meine Freundin und ich fürchterliche Vorstellungen vom Westen hatten. Meine Freundin gab mir einen ungeheuren Vertrauensvorschuss, als sie mit mir kam. Es machte mir aber auch Angst, ob ich ihn einlösen könnte. Ohnehin bin ich keiner, dem alles zufliegt, der mit Sympathien überhäuft wird. Schon als Kind wurde ich darauf getrimmt, Leistung zu bringen."
Doch die Ankunft im Westen schlägt ein anderes Kapitel im Leben Krolkiewiczs auf. In "Hafthaus" beschränkt er sich auf das Jahr hinter Gittern.
Eingebettet ist diese Rückblende in eine Rahmenhandlung: "Eine männliche fremde Figur, die etwa mein Alter und auch etwas von meiner Geschichte hat, tastet sich an seine Erinnerung heran, die dann in der Ich-Form erzählt wird - ohne stilistische oder literarische Experimente. Die Wahrheit hatte das Primat."
Das Buch klingt an jenem Abend aus, als das Manuskript fertig gestellt war. Die männliche Figur nimmt den Leser in seine jetzige Gedankenwelt mit hinein, erzählt, wie das Entsetzliche, Unbegreifliche in ihm weiter arbeitet, wie sich Versagensängste eingenistet haben, das Selbstwertgefühl bröckelte. "Als ich meiner Frau aus dem Manuskript vorlas, merkten wir, es geht nie vorbei."

Heidi Jäger, Potsdamer Neueste Nachrichten, 22.03.03


Mal ein Buch schreiben; so als Hobby. Das wär was. Und dann noch einen Verleger finden. Den Traum so mancher Groß- und Kleinstadtneurotiker haben sich Michael Schindhelm und Ralf-Günter Krolkiewicz erfüllt. Am Freitagabend lasen sie im Foyer des Hans Otto Theaters aus ihren kürzlich erschienenen Büchern, um anschließend über kulturpolitische Herausforderungen in ihrem Hauptberuf zu sprechen: die künstlerische Leitung eines Theaters...
Ralf-Günter Krolkiewicz erzählt in seinem Buch "Hafthaus" von seiner etwa einjährigen Haftzeit in der "sozialistischen Gesetzlichkeit". Die Briefe der damaligen Freundin und heutigen Frau des mit der Vergangenheit ringenden Mannes sind hier veröffentlicht...

Ulrich Crüwell, Märkische Allgemeine Zeitung, 14.04.03


Wer sich in dieser Wortreichen Gesellschaft nicht als Buchautor legitimiert, scheint nicht zu zählen. Hausfrauen, Politiker, Militärs, verkorkste Singles, die Literaten sowieso - alle schreiben. Sollten Intendanten davon ausgeschlossen bleiben? Nimmer! Am späten Freitag lauschte eine überschaubare Zahl von Interessenten im Foyer des HOT, was Ralf-Günter Krolkiewicz und der smarte Michael Schindhelm einander wohl zu sagen hätten, beim "Gemischten Doppel" zweier Theater-Chefs, deren einer vor Ort ex pectore sein Bestes tut indes der andere im fernen Basel ganz neue Höhen der Kultur erklimmt: Nichts.
Jeder sprach von sich, für sich, und durch seine Bücher. Der Potsdamer las aus seinem "Hafthaus", der ebenfalls aus Thüringen stammende Kollege gab den "Zauber des Westens" zum Besten, welchem er von Jugend an verfiel. Autobiographische Prosa.
Schindhelm transportiert sein Wissen durch eine andere Figur, Krolkiewicz hingegen hat sein einjähriges Haft-Trauma in der Ich-Form verarbeitet, eine unvollendete Reflexion...

Gerold Paul, Potsdamer Neueste Nachrichten, 14.04.03


Auf dass gewaltige Schädel sich öffnen
Ihr kostbarstes Gut zu verspritzen
Erwarten wir demütig knieend
Die Sintflut der Wasserköpfe.

Mit so schnuckeligen Versen konnte man die Staatsmacht schon ärgern, denn sie meinten das "Plenum" der Allerhöchsten. Der Potsdamer Schauspieler Ralf-Günter Krolkiewicz hatte sie 1982 geschrieben und auch öffentlich gemacht. Im Juli 1984 stand die Stasi vor seiner Tür. Ein Kollege soll ihn verpfiffen haben. Ohne seiner Freundin Adé sagen zu können, machte er mit der berüchtigten U-Haft in der Potsdamer Lindenstraße Bekanntschaft, "entsetzliche Stasi-Löcher ohne Luft und Licht". Monate später verurteilte ihn die gekränkte Staatsmacht wegen "öffentlicher Herabwürdigung sozialistischer Errungenschaften und ihrer Repräsentanten" zu drei halben Jahren Gefängnis. Doch ein Anwalt tröstete ihn: "Nach einem Jahr sind Sie drüben". Er sollte Recht behalten.
Nachdem der jetzige Intendant des Hans Otto Theaters seine Knasterlebnisse jahrelang wie eine Last mit sich herumgeschleppt hatte, kann man die überfällige Aufarbeitung dieser Zeit nun in dem kleinen Buch "Hafthaus" nachlesen, kein Zeugnis eines Starken. Kaum pseudonym verhüllt, erzählt dieser autobiographische Bericht semi-roman die Geschichte des Alex Jünemann und seiner Freundin Nina, deren gemeinsamer Briefwechsel einen ziemlichen Teil des Paperback ausmacht Darin schildert das schwankend-sensible Subjekt einerseits sein umgittertes Umfeld, wo schwarz uniformierte Wächter mit Gummiknüppeln rund um die Uhr einschüchterten, schrieen und prügelten ("Rasur nicht fertig? Die Fäuste ins Gesicht!"), die Struktur der Stasi-Verhöre in Potsdam, die Tagesabläufe im Knast von Cottbus, wo "alles Erlaubte geregelt". Ungeregeltes (und sei es ein blühendes Pflänzchen) aber nicht aufkommen durfte, mithin die subtilen und offen brutalen Methoden zur Demoralisierung der Gefangenen, etwa das Verlesen persönlicher Briefe vor versammelter Mannschaft. Lange Tage voller Begehren, denn was man nicht hat, das will man am meisten. So weit, so klar.
Eindrucksvoller ist allerdings, wie sich der Häftling selbst reflektiert: "Das Drama, das hier gegeben wurde, war mein eigenes". Er stellte fest, wie "maßlos überheblich" er in der Freiheit gewesen, und als man, in geschlossener Verhandlung, seine Verse vorliest, erkennt er "viel zu weit gegangen zu sein". Es war Hybris. Eine Krise beginnt. Schon nach drei Haftmonaten trägt er Nina die Trennung an, was sie freilich ausschlägt Ein fast unglaubliches Exempel: Genau das, was Krolkiewicz beschwor, trat auch ein, doch er konnte es nicht einmal "demütig knieend" ertragen. Er selbst hatte die Macht provoziert, und sie schlug ohne Erbarmen zurück.
Heraus aus der Hölle, oder dem reinigenden Fegefeuer, ist der Autor bis heute nicht. Als er dann, wie vom Anwalt prophezeit in Hessen ankommt empfindet er alles, nur keine Freude, denn nicht "drüben" ist Freiheit, sondern "drinnen". Seitdem schwankt er zwischen Verzeihen und Vergessen. Zweimal schon gedachte er des Tages nicht mehr, als er im Westen ankam. Verblasst das Erinnern an die demütigenden Bilder, als man die Häftlinge, öffentlich, in Ketten über den Cottbuser Bahnhof führte, als er im Knast einen Film sah, darin er selbst mitspielte (was er nicht aushielt), an den brutalen Aufseher, der sich selbstgewiss "Roter Terror" nannte? Bei den besoffenen, vertierten Wärtern war ja der Hass gegen Künstler und Intellektuelle besonders groß, das war unter Hitler nicht anders.
Beginnt so das Vergessen, vor dem Ralf-Günter Krolkiewicz sich fürchtet? "Vor der Wirklichkeit kann man seine Augen verschließen, aber nicht vor der Erinnerung", dieser Satz von Stanislaw Jerzy Lee gibt "Hafthaus" das Motto. Der Herausgeber hat es unter der Rubrik "Lebenslinien" veröffentlicht, Lothar Krone mit kolorierten Zeichnungen sehr überzeugend illustriert. Stilistisch ist das Buch ohne Einheit, Teile sind in reflektierender Prosa geschrieben, andere suchen den Faden eines fiktiven Romans über Jünnemann und seine Nina aufzunehmen, deren Liebe sich in und durch das Hafthaus Hölle bewährte.
Das Buch ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Arbeit, dem reinigenden Fegefeuer zu entkommen. Man wird weiterschreiben müssen, bis dieser Satz des Stigmatisierten getilgt ist: "Die Gezeichneten tragen ihre Last ein Leben lang".

Gerold Paul, Potsdamer Neueste Nachrichten, 03.05.03


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