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Abends kocht Mutter Wäsche auf dem Herd. Es ist heiß in der Küche und die Fenster stehen weit auf. Am Morgen rubbelt sie auf dem Waschbrett, wringt aus und hängt die gespülte Wäsche auf den Hof. Hinterher bügelt sie auf dem Küchentisch, hat reichlich schlechte Laune und raunzt mich an: "Lauf mir nicht dauernd vor die Füße!"
Da steige ich beleidigt in den Keller, um nach den Rädern zu sehen. Den Auftrag dazu hat mir Papa sowieso gegeben. Es ist aber eine sinnlose Mühe, an den Rädern ist nichts auszusetzen und wenn doch, hätte ich es nicht gesehen. Vater ist mit seinem Rad zur Arbeit gefahren, ich trage also Mutters, Ingeborgs und mein eigenes auf den Hof und putze ein Weilchen lustlos daran herum.
Es ist Nachmittag und Ferienzeit. Die Jungen und Mädchen aus der Umgebung langweilen sich vor der geschlossenen Kneipe ›Zum Heinrich‹. Da ich die Putzerei satt habe, geselle ich mich zu ihnen und stehe sogleich im Mittelpunkt. Als Internatsschüler bin ich für sie einer der Glücklichen, die der elterlichen Fuchtel entrinnen konnten. Der Preis interessiert sie nicht. Mit meiner gelben Armbinde kommen sie besser zurecht als viele Erwachsene. Wie ich mir gar noch lässig eine Zigarette anzünde, sind sie hell begeistert, und die Zigarette geht reihum. Nur Heini, der Sohn vom Gastwirt ›Zum Heinrich‹, stänkert und fragt scheinheilig, wozu Blinde ein Fahrrad brauchen.
Da mein Selbstvertrauen bedeutend größer ist als die Vernunft, fordere ich Heini unter dem Hallo der anderen zur Wettfahrt auf. Im Prinzip ist das kein Problem. Ich kenne die Straße genau. Mein Plan ist sehr einfach: So lange ich dicht an Heini dranbleibe und höre, wo er entlang fährt, kann gar nichts schief gehen. Erst kurz vor dem Ziel werde ich ihm davonspurten.
Auf ein Kommando strampeln wir los. Heini schlägt sofort ein hohes Tempo an. Ich kann jedoch mühelos folgen, höre ihn schniefen und alles scheint in Ordnung. Plötzlich aber taucht vor mir ein dunkler Schatten auf, Heini schreit, ich will ausweichen, der Schatten leider ebenfalls. Im gleichen Augenblick kracht es. Ich stürze kopfüber und falle auf etwas Weiches, nämlich auf einen Radfahrer, der mir entgegen gekommen ist. Wütend schreie ich ihn an, nenne ihn ein Rindvieh, das nicht aufpassen kann, schwinge mich erneut in den Sattel und hetze hinter Heini her. Das rechte Pedal ist verbogen und klickt bei jeder Umdrehung gegen den Rahmen. Am kühlen Luftzug merke ich, dass mein Hemd zerrissen ist. Schmerzen verspüre ich keine. Die Wettfahrt freilich gewinnt Heini der Stänker.
Mama schimpft wegen des Hemdes. Das ist aber kein Vergleich zu jenem Donnerwetter, das gleich darauf folgt. Vater kommt wenige Minuten nach mir zur Tür herein, grüßt jedoch nicht wie gewöhnlich mit "Hallo!", sondern verpasst mir wortlos eine solche Ohrfeige, dass ich beinahe vom Stuhl kippe.
Ich hatte keinen Fremden umgefahren, sondern meinen zufällig um diese Zeit von der Arbeit heimradelnden Vater. Passiert ist ihm nichts, nur sein Vorderrad ist so verbogen, dass der Schaden nicht mehr behoben werden kann. Und Rindvieh hatte auch noch keiner zu ihm gesagt, nur ich.
Wegen der Ohrfeige schreit meine ahnungslose Mutter den Vater an, Papa brüllt zurück. Ingeborg beginnt zu heulen. Mama will sich wegen der Aufregung einen Wodka genehmigen. Vater knallt die Tür vom Kühlschrank wieder zu und fährt sie an: "Lass die verdammte Sauferei!"
"Lass du die Finger von dem Jungen!" schreit Mama zurück.
Ich schleiche mit brennender Wange in mein Zimmer und werfe mich aufs Bett. Ich fühle mich schuldig und kann doch nichts dafür. Das Leben ist manchmal ganz schön kompliziert, ein ewiges Auf und Ab.


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