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Reinhard Wengierek, Das Blättchen
Wolfgang Dosch, Leháriana (Wien)
Ingeborg Pietzsch, Theater der Zeit
NN, Bücherwurm
Claus-Henning Bachmann, Kulturspiegel, New York
Peter Jacobs, Die Welt

"Unter Musiktheater verstand man nicht etwa Theater mit Musik, sondern schlicht die theoriegestützte Spielweise der Komischen Oper. Wohingegen ich das Wort ‚Realismus’ weder von Felsenstein noch von seinen Mitarbeitern je gehört habe", erinnerte sich Joachim Herz (1924-2010) an seine Lehrzeit beim Intendanten und Chefregisseur dieser Institution, Walter Felsenstein (Jahrgang 1901), dem er nach dessen Tod 1975 im Amt nachfolgte.

Herz schrieb seine Erinnerung für ein Büchlein, das die Musikwissenschaftlerin Ilse Kobán anno 1997 herausbrachte zur Halbjahrhundertfeier des Bestehens der Komischen Oper Berlin. Kobán war die erste, noch von Felsenstein persönlich berufene Leiterin des in der Akademie der Künste der DDR gegründeten Felsenstein-Archivs, dem sie bis zu ihrer Pensionierung Mitte der 90er Jahre vorstand.

Anlässlich des 70-jährigen Jubiläums der „Komischen“ Ende Dezember 2017 hab ich das zauberhaft illustrierte anekdotische Druckwerk wieder hervorgeholt. Es ist eine so informative wie amüsante, auch delikate Fundgrube – ein Nähkästchen zum Kramen. Unter dem Schlachtruf „Routine zerstört das Stück“ wird in Dokumenten und Erinnerungen von Mitarbeitern der tagtägliche nervenzerfetzende Groß- und Kleinkampf gegen Anarchie und Lethargie auf und hinter der Bühne aufregend lebendig.

Da erklärt Herz beispielsweise das Felsensteinsche Arbeitsprinzip: „Pausenlos sollte die Person auf der Bühne Stellung beziehen. Sollte erfüllt sein von etwas, etwas wollen, etwas meinen: Sofern er zu singen hatte, sollte er der Musik voraus diese gleichsam aus sich heraus neu gebären – selbstredend in minutiösem Einklang mit Partitur und Dirigent. Musik und Text aufsagen war verboten. Ein Wort wie intensiv war ein schwerer Tadel und stand für ehrgeizig aufgebläht ohne Inhalt; Dampf für seine verpönte Steigerung. Opernbranche, Vokalidiot bereicherten den Wortschatz der Verteufelungen. Und zu Beginn jeder Spielzeit kam die Regeneration des gesamten Repertoires in einem strapaziösen Parforce-Lauf. Denn ehernes Gesetz war: Jede Vorstellung eine Premiere.“

Barrie Kosky, jetzt Chef des Hauses, nennt die „theoriegestützte Spielweise“ Vision; Felsenstein sei der einzige, der mit einer Vision ein Opernhaus gegründet habe, sie gehöre zu dessen DNA. Deshalb stünden die opulenten Feierlichkeiten zum Gründungsjubiläum unter dem Motto „70 Jahre Zukunft Musiktheater“.

Die Komische Oper wurde am 23. Dezember 1947 mit der „Fledermaus“ als drittes Opernhaus im Nachkriegs-Berlin eröffnet – auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration. In der Lizenz freilich steht „Städtisches Operettentheater“; der Auslöser eines beständigen Kampfes um die materielle Ausstattung – in Konkurrenz (so bis heute) zur benachbarten Staatsoper. Erst nach 1961 kam der ersehnte Status „Staatstheater“. Inzwischen verstand man sich ohnehin quasi als „exterritorial“, sagt Herz. Konnte selbst nach dem Mauerbau sämtliche Mitarbeiter aus dem Westen halten. „Überhaupt stand dank Felsenstein in der ganzen DDR Oper unter so etwas wie Naturschutz.“

Ist heutzutage bisschen anders; nach der Wiedervereinigung stand die Komische Oper zur Disposition. Demnächst, spätestens ab 2022, muss das Haus saniert werden, dafür hat die Politik das Schiller-Theater als Ausweichquartier vorgesehen. Doch Barrie Kosky will nicht dorthin. Er will „ins Exil in die Stadt“, um an den unterschiedlichsten Orten jeweils dafür passende Inszenierungen herauszubringen; ein Aufwand, der teurer wird als ein jahrelanges Ausweich-Domizil im Schiller-Theater, das nach Koskys Meinung höchstens geeignet sei für eine Wintersaison Musical-Betrieb. Will die Stadt den Mehraufwand des „Exils“ nicht tragen, müsse sie für die Zeit nach 2022 einen neuen Intendanten suchen. „Wenn ich soll bleiben, dann give money“, so der aus Australien stammende Star-Intendant, um den sich (wie einst um Felsenstein) alle Welt reißt.

Interessant übrigens, wie die DDR-Führung hinterrücks über den hochprivilegierten Felsenstein mit österreichischem Pass sprach. Anlässlich eines Gastspiels der Komischen Oper 1959 in der UdSSR schrieb der Kulturfunktionär Alfred Kurella nach Moskau an den DDR-Botschafter, den „lieben Genossen Dölling“: „Felsenstein hat etwas von jenen Söhnen der Familie, die, sind sie zu Besuch, einen großartigen Eindruck hinterlassen, aber zu Hause einfach unausstehlich sind.“ W.F. sei spießig, habe „erpresserische Forderungen“. Immerhin jedoch wisse er genau, „nirgends in der Welt wird er je die Bedingungen bekommen, die wir ihm schufen“.

Ilse Kobán (Hrsg.): Routine zerstört das Stück. Erlesenes und Kommentiertes aus Briefen und Vorstellungsberichten zur Ensemblearbeit Felsensteins. Märkischer Verlag Wilhelmshorst 1997, 285 Seiten. Heute nur noch mit Glück antiquarisch zu haben – oder über Verleger Klaus-Peter Anders (Tel. 033205/62211; Fax 033205/46863)

Querbeet von Reinhard Wengierek in Das Blättchen, 15.1.2018


In diesem bezaubernden kleinen Bändchen erhält man Einblicke hinter die Kulissen der Komischen Oper Berlin unter der Intendanz des legendären österreichischen Theatermannes Walter Felsenstein. Ilse Kobán veröffentlicht die Berichte damaliger Abendspielleiter, die später selbst großartige Regisseure werden sollten, wie Joachim Herz, Götz Friedrich, Harry Kupfer u.a. zu Aufführungen in den Jahren von 1948-1964: Orpheus in der Unterwelt, Der Vogelhändler, Die verkaufte Braut, Pariser Leben, Zar und Zimmermann, Die Zauberflöte, Eine Nacht in Venedig, Die schweigsame Frau u.a.
Man liest über Probleme mit Tenören in wackelnden Gondeln, die unter Brücken stecken bleiben (Nacht in Venedig) und über unmusikalische Schweine (Der Vogelhändler).
Dieses lesenswerte Büchlein bietet unterhaltsame Einblicke hinter die Kulissen einer damals heilen, künstlerisch höchststehenden und leider beinahe vergessenenen Theaterwelt - die Komische Oper Berlin unter der Intendanz von Walter Felsenstein. Zauberhaft!

Wolfgang Dosch, Leháriana (Wien), II/2005


Herausgeberin Ilse Kobán, Leiterin des Felsenstein-Archivs Berlin, hat in diesem Bändchen Briefe Felsensteins, einiger seiner Mitarbeiter (wie Götz Friedrich und Joachim Herz) und Vorstellungsberichte zusammengefaßt, weithin unbekanntes Material über Ensemblearbeit. Im Detail mag das vor allem für Kenner der Materie von Interesse sein, zumal die Epistel und Protokolle der Regieassistenten überwiegend frühe Arbeiten an der Komischen Oper betreffen. Was aber diese Berichte und Briefe über den unmittelbaren Anlaß hinaushebt, ist das Maß an Akribie, an unerbittlicher Präzision in den Proben, den Vorstellungen und während der gesamten Arbeit, das hier deutlich wird. Immer geht es Felsenstein um die Sache, um sein Haus, er lobt (und er tadelt, wenn es sein muß), die Darsteller, beschreibt ihnen genau, warum die Figur, die Rolle unter der bereits gefundenen Qualität in der x-ten Vorstellung geblieben ist. Eine Haltung des Regisseurs Felsenstein, die sowohl die einmalige künstlerische Geltung dieses Instituts erklärt, als auch beispielgebend für Theaterleute heute sein könn(t)e. Nebenbei ist es witzig zu lesen, mit welchen Läppereien sich Felsenstein befassen mußte — etwa um 50.- Westmark für Perückennadeln vom entsprechenden Ministerium für Inner- und Außerdeutschen Handel zu erbitten oder mit was für Tücken der Objekte die Darsteller zu kämpfen hatten, in jenen Nachkriegsjahren, als noch wahre Materialschlachten geschlagen werden mußten.

Ingeborg Pietzsch, Theater der Zeit, Oktober 1999


1997 feierte die Komische Oper Berlin ihr 50jähriges Bestehen. Erste Vorstellung 1947 - Die Fledermaus. Erster Intendant und Chefregisseur - Walter Felsenstein. Fast 30 Jahre leitete er dieses Theater bis zu seinem Tode. 1973 gründete die Akademie der Künste der DDR das Felsenstein-Archiv. Es enthält Texte, Übersetzungen, Regiechroniken, Programmhefte, Plakate und Fotos zu fast 200 Inszenierungen und viele tausend Seiten Aufzeichnungen und Korrespondenzen Felsensteins. Hüterin dieser Sammlung ist die Musikwissenschaftlerin Ilsa Kobán (54). Sie ist auch Herausgeberin des Büchleins "Routine zerstört das Stück", das Erlesenes und Kommentiertes aus Briefen und Vorstellungsberichten Felsensteins enthält. Ilse Kobán möchte mit diesem Querschnitt aus etwa 12 Jahren Theateralltag mit Zwischenfällen nicht nur Theaterfreunden Wissenswertes vermitteln und Liebe und Verständnis für das Theater wecken, sondern auch die Nachkriegszeit des Mangels erhellen, heiter oder nachdenklich – wie das Theater selbst.

NN, Bücherwurm, Mai 1998


David und Goliath: Die fünfzig Jahre bestehende Komische Oper ist ein David, verglichen mit den sogenannten Opernzentren. Verlage folgen der Spur. Die Vergiftungs-Pointe ist bei Goliath nachzulesen, in einem Band der "edition suhrkamp": "Walter Felsenstein. Die Pflicht, die Wahrheit zu finden." Ulla Berkewicz, 1972 in Felsensteins Münchner Wallenstein-Inszenierung die Thekla, hat ihn angeregt, Ilse Kobán, Leiterin des Felsenstein-Archivs, ihn herausgegeben.
Ein von ihr schon zu Wendezeiten ediertes Skript konnte jetzt erst im Hause David erscheinen: "Routine zerstört das Stück oder Die Sau hat kein Theaterblut" im Märkischen Verlag Wilhelmshorst. Die Sau war eine echte und sollte zum Wildschwein gemacht werden in Zellers Operette Der Vogelhändler, 281 mal gespielt und dann vom Chef abgesetzt, weil nach seiner Meinung unrettbar verschlampt. Nach 202 Vorstellungen geschah der Zauberflöte das Gleiche...

Claus-Henning Bachmann, Kulturspiegel, New York, Jan. 16, 1998
(wortgleicher Nachdruck in Neue Musikzeitung, Februar 1998)


50 Jahre Komische Oper: Jubiläumsgerecht ist mit Unterstützung der Akademie der Künste jetzt auch ein Buch erschienen, das einen Blick zurückwirft auf die großen Inszenierungen der frühen Jahre vom "Vogelhändler" bis zur "Zauberflöte".
Die Leiterin des Felsenstein-Archivs, Ilse Kobán, hat alte Berichte der Abendspielleiter zusammengestellt: Mit Pannen und Premierenweihrauch, mit präzisem Lob und spitzem Tadel Felsensteins an die Akteure, mit neuen Einblicken in sein bisweilen fast mystisches Verhältnis zur Kunst (Ilse Kobán: Routine zerstört das Stück, Märkischer Verlag Wilhelmshorst, 24,90 Mark). Und mit heute irrwitzig anmutenden Zwischenfällen. Wer ahnt schon noch, was es bedeutete, ein lebendes rosa Hausschwein jagdgerecht für den kurzsichtigen Fürsten Ladislaus im "Vogelhändler" auf der Bühne zu plazieren. Das Tier schreit und tobt im Bühnenlicht und will über die Rampe ins Publikum entwischen. Der Abendbericht vermerkt lakonisch: "Die Sau hat kein Theaterblut".
Zwischen solchen Notaten dann die unglaublichen Sorgen der Frühzeiten um elementarste materielle Ausstattung - bis zu Wortgefechten mit einem DDR-Außenhandelsminister um 50 Westmark für eine Lieferung von 2000 Perückennadeln.
Felsenstein hat sich nie krumm gemacht und nachgiebig gezeigt, nicht vor den Launen seiner Primadonnen, nicht vor Disziplinlosigkeiten seines zeitweise arg unterbezahlten Chores, nicht vor der Kulturbürokratie der DDR. Die Komische Oper war dank seiner Tatkraft das einzige Berliner Theater, an dem 1961, als die Mauer gebaut wurde, Ensemble und Belegschaft zusammenbleiben konnte: Felsenstein hatte bei den Funktionären durchgesetzt, daß die Kollegen aus West-Berlin weiterhin bei ihm arbeiten durften…

Peter Jacobs, Die Welt, 22.12.1997


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